Freitag, 12. September 2008

Marktforscher sind die Bestatter von neuen Ideen.

Nein, ich bin nicht gegen Marktforschung.

Ich bin nur gegen Marktforschung, die nicht differenziert. Und gegen Marketingverantwortliche, die hinter der Glasscheibe nur die Aussprüche der Probanten hören, aber nicht die tiefere Bedeutung sehen.

Wie ich gestern schon ausgeführt habe: Was ein Konsument sagt, und was er meint, ist meistens nicht das gleiche. Und das sollte man raushören können.

Deshalb habe ich so meine Probleme mit den Tests von Anzeigenlayouts, Storyboards oder Animatics, bei denen 1000 Leute gefragt werden, wie sie die Werbung finden.

Prinzipiell unterscheidet man zwischen quantitativer und qualitativer Marktforschung.

Quantitativ heisst, man befragt 100+n Leute. Per Straßenbefragung, Internet oder anderen Massen-Befragungs-Mechanismen.

Qualitativ heißt, man befragt wenige Menschen sehr intensiv. Entweder in Einzelinterviews oder so genannten Gruppendiskussionen.

So sieht man sich als Kreativer plötzlich hinter einer Glasscheibe sitzen und den Aussagen von 10 Menschen und einem Moderator lauschen, der die stellvertretenden Konsumenten zu neuen Werbekonzepten interviewt. Konzepten, die man mühsam entwickelt hat.

Eines meiner letzten nachhaltigen Erlebnisse: die Gruppendiskussion um ein Premium-Mineralwasser. Also ein teures Produkt. Und um Kampagnen, die das Wasser bei Besserverdienenden, am liebsten DINKS (double income, no kids), zurück ins Gedächtnis und in den Getränkekeller bringen sollen. Zielgruppe: Die typische Eppendorfer. Oder Bogenhausener. Oder Charlottenburger.

Wie es sich gehört, stellen sich die Konsumenten am Anfang einer Gruppendiskussion vor. Sie sind alle Nicht-Trinker der Marke. Was beabsichtigt ist, da man ja neue Leute für die Marke gewinnen will. In der Gruppe dabei ist ein Lagerarbeiter, ein LKW-Fahrer, eine Schuhverkäuferin, ein Kfz-Mechaniker, eine Telefonistin, ein Arbeitsloser, ein Student, den Rest erinnere ich nicht mehr.

Frage (verzweifelt) der Agentur an den Kunden: Äh, das ist doch gar nicht unsere Zielgruppe.

Antwort des Kunden an die Agentur: Ach, das spielt erst mal keine Rolle, es geht ja nur ums Verständnis der Kampagne.

Frage (noch verzweifelter) der Agentur an den Marktforscher: Äh, kann jemand, für den die Anzeigen nicht gemacht sind, die Anzeigen verstehen?

Antwort des Marktforschers: Keine Sorge, das können wir schon differenzieren. Es geht nur erst mal ums Verstehen.

Nach 4 Stunden sind alle drei vorgestellten Kampagnen tot. Und damit 5 Wochen harte Arbeit.

Nein nein, es hat nicht daran gelegen, dass sich die Leute das Premium-Mineralwasser nicht leisten können. Und dass sie da sitzen, um sich etwas Geld dazu zu verdienen. Und das einer der Hauptgründe beim Mineralwasserverkauf für Sie der günstige Preis ist.

Woran hat es dann gelegen?

Antwort des Marktforscher: Das emotionale „bridging“ zwischen Visual und Produkt ist zu schwach. Die Anzeige involviert die Zielgruppe nicht.

Agentur: Ich brauch jetzt ein Bier.

Das Problem der Marktforschung ist nicht, dass man jemanden fragt.
Sondern wen man was fragt. In welchem Umfeld.

Wer hat schon Lust, sich 4 Stunden nach Feierabend in einen geschlossenen Raum zu begeben und über Werbung zu sprechen? Und vor allem, in welcher Stimmung ist er da?

Qualität kommt vor Quantität. Auch in der Marktforschung. Deshalb halte ich mehr davon, einige wenige Menschen richtig zu befragen und in die Tiefe zu gehen, bevor ich von vielen nur einige oberflächliche Statements erhalte.

Das Umfeld ist ebenfalls entscheidend. Gute Planner und Marktforscher bevorzugen den Gang zur Zielgruppe, als dass sie die Zielgruppe zu sich kommen zu lassen. Nicht selten werden Treffen in Wohnungen von Leuten mit deren Freunden und Bekannten vereinbart. Stichwort: ungezwungen.

Wir haben jüngst einer Marktforschung beigewohnt, bei der für einen unserer Kunden extra einen kleiner Event kreiert wurde. Ein gutes Essen in einem sehr guten Restaurant. Also in einem für die betreffende Zielgruppe gewohntem und begehrenswertem Umfeld. Und da kamen sehr interessante Erkenntnisse heraus. Nicht erst nach dem zweiten Glas Cabernet Sauvignon.

Natürlich kannst du als „kleiner Texter“ oder „Art Director“ nicht gegen die Marktforschungsgewalt antreten und verlangen, dass die Ergebnisse doch bitte zu ignorieren seien.

Selbst ein gestandenes kreatives Schlachtschiff wie ich ist machtlos gegen die Zahlen und Fakten, die als Alibi für Mutlosigkeit herhalten müssen.

Mein Statement heute kann nur dazu dienen, dass du Marktforschung ins rechte Licht zu rücken weißt und nicht frustriert bist, wenn deine Kampagne durchfällt. Mutige Kreativität hat da oft wenig Chancen.

In vielen Unternehmen regiert die Angst. Und Marktforschung dient dazu, sich abzusichern.

Das ist das "cover my as"-Phänomen.

Marktforschung gibt Produktmanagern, Werbeleitern oder gleich ganzen Marketingabteilungen eine gewisse Sicherheit, dass sie nichts falsch machen.

Aber sie gibt ihnen leider nicht die Sicherheit, dass sie auch alles richtig machen.

Etwas Neues entsteht nur, wenn man etwas risikiert. Wenn man mehr auf seinen Bauch hört als auf Marktforschung (ist übrigens auch viel günstiger). Ein Produkt wie Bionade hätte es mit Marktforschung sicher nicht gegeben. Da waren mutige Unternehmer am Werk.

Und noch etwas: wenn du dich in einem Pitch befindest, an dessen Ende die Konzepte in die Marktforschung gehen, dann solltest du wissen, dass nicht jedes Konzept dort besteht, auch wenn es richtig ist.

Ich sehe mich heute in der Lage zu beurteilen, welche Kampagne in Marktforschung bestehen können. Und welche nicht. Es sind in der Mehrzahl nicht die richtig kreativen Kampagnen.

Ein Know How, auf das ich bestimmt nicht stolz bin.

Bevor du nun also völlig ratlos vor einem Briefing oder vor einer Aufgabe sitzt, lege ich dir meinen heutigen Tipp ans Herz. Wenn du keinen Planner oder Kundenberater zur Hand hat, der dir dabei hilft, mach es einfach selbst.

Du hast doch sicher ein paar Freunde, Nachbarn oder Eltern? Und etwas zu essen und einen Wein bekommst du doch auch noch aufgetischt.

Fertig ist deine kleine Marktforschung.

Tipp 10: Lieber eine tiefgehende Erkenntnis von 5 Verbrauchern als oberflächliche Statements von 1000.





Marktforschung: Ich möchte den heutigen Beitrag nicht ohne eine kleine Umfrage beenden.

Anfang September 2008 ist die überarbeitete Patek Philippe Kampagne gestartet.
Aus den "Vater und Kind"-Motiven sind "Vater-und-Sohn-Motive geworden.


Die Abstimmung findest du in der rechten Spalte.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

2ass" schreibt man mit zwei "s".

Götz

Zschaler hat gesagt…

asso, ja, stimmt!