Donnerstag, 27. November 2008

Gedanken über den Texteinstieg.

Gehörst du auch zu diesen Headline-Huren? Ok, keine Diffamierung des weiblichen Geschlechtes, also: Gehörst du auch zu diesen Schlagzeilen-Wichsern? Bist du so eine oder so einer, die/der in der Kneipe oder Freunden gerne erzählt, dass sie/er Texter/in ist. Du arme Kreatur. Denn eigentlich bist du nur so ein Show-Schreiber, der mit den Untiefen der Erzählkunst noch nie wirklich in Berührung kam.

Soweit mein Texteinstieg zu diesem Beitrag. Es ist der provokante Weg, den Leser neugierig zu machen und seine Lust am Weiterlesen zu steigern. Dieser Versuch zeigt zumindest, dass der Einstieg darüber entscheidet, ob jemand deinen Text zu Ende liest.

Immerhin bist du hier schon bis zu Anschlag 700 gekommen – das ist die Länge einer durchschnittlichen Anzeigencopy.

Ich habe die Provokation gewählt, weil mir endlich mal kein Kunde sagen kann, dass das aber geschmacklos ist und nicht zur Marke passt. Die bin gerade mal ich selbst. Und ich habe deine Neugier angestachelt, denn du bist ja immer noch da, obwohl ich dich inzwischen aufgeklärt habe, dass das Ganze ein Versuch war.

Wie wichtig der Anfang eines Textes ist, erfährt man, wenn man ein neues Buch liest.

Die ersten zwei bis drei Seiten sind entscheidend, ob die Leser weiter machen. Bei einem Buch von 400 bis 500 Seiten stehen die ersten drei Seiten in einem ähnlichen Verhältnis wie die ersten drei Sätze eines Werbetextes.

Der Texteinstieg ist eigentlich ähnlich einem guten TV-Spot. Auch hier braucht man eine Überraschung. Eine ungewöhnliche Formulierung. Unerwartete Gedanken, die den Leser bei der Stange halten.

Texteinstiege wie „der neue XY steht jetzt für Sie bereit“ oder „Erleben Sie die sanfteste Rasierklinge, die es je gab“ sind Reklamesätze und für Überraschung nicht geeignet.

Auch sollte man im Texteinstieg nicht den Inhalt der Headline wiederholen. Das ist redundant.

Was gerne mal von jüngeren Textern gemacht wird: den ersten Satz des Textes als logische Fortsetzung der Headline zu schreiben.

Also Headline „Lernen Sie den neuen XY kennen“. Erster Copysatz: „Und bewundern Sie sein elegantes Design“.

Ich finde das stilistisch ziemlich lieblos. Es wirkt schnell hingerotzt (was es meistens auch ist, denn der Texter hat nicht nachgedacht).

Jeder Texteinstieg braucht sozusagen einen Auftakt. Viele Betrachter einer Anzeige, einer Broschüre oder einer Website lesen nicht sofort nach der Headline weiter, sondern betrachten erst einmal die Bilder.

Ein guter Texteinstieg fesselt und leitet den Leser geschickt zur eigentlichen Aufgabe des Textes, nämlich zu den Produktinformationen oder Markeneigenschaften. Je besser und intelligenter die verbale Verpackung, desto besser auch die Akzeptanz der Information.

Natürlich ist es die Aufgabe des Textes, das, was die Headline verdichtet hat, irgendwo aufzugreifen und aufzulösen. Aber auch hier gibt es die verschiedensten Spielarten.

Wenn man kürzere Texte schreiben muss, also um die 500 bis 1000 Anschläge, und wenn man viele – wie ich sie gerne nenne – Bulletpoint-Features unterbringen muss, dann tut man sich oft schwer, eine überraschende Geschichte oder gar einen roten Faden, den ich gestern beschrieben habe, zu spinnen.

500 Anschläge sind wie 15 Sekunden Spots. Man kann keine Geschichte entwickeln.

In solchen Fällen ist es ratsam, die zweitbeste, drittbeste und viertbeste Headline noch mal anzusehen und zu prüfen, ob man diese Gedanken oder Formulierungen nicht im Texteinstieg oder Textausstieg verbraten kann.

Es ist wirklich eine Kunst, viel Information zu einer interessanten und spannenden Geschichte zu fassen, ohne ins Labern und Schwadronieren abzudriften. Jeder gute Text hat Zug. Die Sätze bauen aufeinander auf und führen mich knallhart zum Ziel, ohne das ich es merke.

Dabei helfen oft kurze Sätze. Und auch das Prinzip Subjekt-Prädikat-Objekt hilft manchmal, Ordnung und Rythmus in einen Text zu bringen.

Es sind die Gedanken, die überzeugen müssen, nicht die Bandwurmsätze oder Fremdwörter-Fontänen.

Ein guter Text ist meistens in sehr einfachen Sätzen geschrieben.

Die Meister des ungewöhnlichen und packenden Texteinstiegs sind aus meiner Sicht die Spiegel-Redakteure. Online wie gedruckt.

Hier wird man oft erst einmal in eine andere thematische Richtung gelenkt, die scheinbar nichts mit der Sache zu tun hat, oder eben, wie ich es gestern schon angeregt habe, es wird erst einmal eine ganz andere Perspektive gewählt, bis die Story zum eigentlichen Punkt kommt. Doch dann fügt sich alles ganz logisch zusammen.

Natürlich geht einem beim Spiegel der Endzeitstimmung erzeugende Ton mit der Zeit auf den Keks, aber die Artikel sind hohe Erzählschule – verbunden mit knallharten Informationen.

Sollte jemand dem Spiegel-Duktus ganz und gar über haben, dem empfehle ich, mal wieder zur guten alten Titanic zu greifen. Die zieht einen schön runter in absurdeste Gedankengänge.

Kann auf jeden Fall zu Neuem inspirieren.

Tipp 61: Hebe immer die zweitbeste und drittbeste Headline auf. Vielleicht kannst du sie später als Texteinstieg gebrauchen.




Wer endlich mal wieder ganz absurde Gedanken für Texte sucht, sollte ab und zu Titanic lesen.

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