Mittwoch, 30. Juni 2010

Cannes verliert seinen Glanz.

Wir haben inzwischen von allem zu viel. Viel zu viel. Das ist meine Wahrnehmung. Auch Cannes ist davon betroffen.

Aber der Reihe nach.

Vergangene Woche fanden die Werbefilmfestspiele in dem Ort mit dem für Filmschaffende und Werbeleute elektrisierenden Namen an der französischen Mittelmeerküste statt.

Ich habe nichts dazu geschrieben. Was mir selbst erst heute aufgefallen ist. Irgendwie ging Cannes an mir vorbei, ohne dass ich mich groß damit beschäftigt habe. Immerhin hatten wir sogar zwei Shortlistplätze.

Warum ist das so?

Ich befürchte ich bin Highlight-müde. Wundert mich auch nicht, denn täglich jagt auf meinen Facebook- und Twitter-Accounts ein kreatives Highlight das andere. Wenn man letzte Woche abends mal so kurz durch die online Medien gesurft ist um zu erfahren, was in Cannes los war, dann begegnen einem Arbeiten, die man eh schon kennt.

Dazu die immer gleichen Bilder: Leute aus der Szene am Strand, bei den Filmproduktionspartys, auf den Booten der Filmproduktionen oder beim Fussball gucken im Hotel.

Cannes ist ein riesig aufgeblähter Vermarktungsapparat mit unübersichtlich vielen Kategorien und Juroren geworden.

Bezeichnend, dass sich der deutsche Statthalter des Cannes Festivals, Florian Weischer, beschwert, dass so viele Deutsche wie nie nach Cannes gekommen sind – aber keiner hat sich Karten für das Festivalprogramm gekauft.

Das sollte ihn intensiver beschäftigen.

Die Karten sind höllisch teuer, man sieht die immer gleichen Nasen, die das immer gleiche erzählen und am Ende interessiert sowieso alle wirklich nur, ob sie einen Löwen mit nach Hause nehmen können und wo die nächste Party steigt.

Dafür soll man dann überteuerte Hotelpreise zahlen. Und überteuertes Essen und Trinken.

Es erstaunt mich dennoch sehr, dass in Zeiten der großen Kostensensibilität von Agenturen (bei Awardeinsendungen soll gespart werden) doch so viele Kreative und Chefkreative die Muse und das Budget haben, um an die Cote d‘Azur zu fahren.

Um dabei zu sein, obwohl sie gar nicht richtig dabei sind.

Man pflegt sein Netzwerk, frischt Kontakte auf oder knüpft neue. Die Argumente kennt man ja. Oder man holt eben vielleicht seinen Löwen ab.

Ganz schön teuer.

So eine Cannes Woche kostet eine Agentur mit allen Reise- und Spesenkosten (mittlere Hotelkategorie) zwischen 5.000 bis 8.000 Euro pro Person. Ganz zu schweigen, dass man eine Woche nicht richtig arbeitet.

Urlaub auf Agenturkosten.

Dazu kommt, dass gerade bei den Deutschen Löwen immer wieder die „gebastelten“ Highlights für den Tiernahrungsshop oder für andere große Werbungtreibenden punkten – die Arbeiten eben meisten immer nur "Wettbewerbsschönlinge" sind.

Aber selbst davon haben wir inzwischen so viel, dass man gar keine Zeit mehr hat, sich durch all diese irrelevanten Gewinner zu kämpfen, um vielleicht inspiriert zu werden.

Eher das Gegenteil.

Cannes ist auf gutem Weg, ein unsympathisches Marketingspielzeug zu werden. Vor dessen Ergebnis man den Respekt verliert. Ein Löwe ist gut für die kreative Agentur-Reputation und so speist man die Maschine mit seinen Highlights, um vielleicht daran partizipieren zu können.

Aber Spaß macht das nicht mehr. Und so richtig stolz auf eine Löwen kann man langsam auch nicht mehr sein, weil alles viel zu inflationär geworden ist.

Was die Engländer und Amerikaner von den Deutschen wohltuend unterscheidet ist die Tatsache, dass ihre Löwen wenigstens noch echte Aufträge sind.

Meistens jedenfalls.



Eine Idee, die Sinn macht und wirklich etwas bewegt hat. Oder kurz gesagt: relevant für die Zielgruppe ist: „Twelpforce“ für Best Buy von Crispin Porter & Bogusky.

Freitag, 25. Juni 2010

Schreib mal wieder.

Unseren Job setzt man häufig mit der Aufgabe gleich, möglichst viele Menschen auf einmal anzusprechen. In der Media haben sie für so etwas den Begriff TKP (Tausend-Kontakt-Preis) geschaffen. Für viele Media- und Produktmanager immer noch die bestimmende Erfolgsformel.

Aber auch im privaten Bereich begnügen sich viele nicht mehr damit, ihre Gedanken nur an die eine Person zu richten, die es betrifft. Sondern sie lassen gleich möglichst viele Freunde oder Follower an ihrem persönlichen Glück oder Leid teilhaben.

Öffentliche Liebesschwüre oder Hasstiraden auf Facebook oder Twitter sind keine Seltenheit.

Bei all dieser Sucht nach Öffentlichkeit ist es fast schon eine Revolution, wenn man wieder mal einen Brief schreibt.

Und zwar mit der Hand.

An nur eine ganz bestimmte Person.

Ob du dazu physisch überhaupt noch in der Lage bist, kannst du testen, indem du mal drei (!) DIN A4 Seiten am Stück hintereinander weg vollschreibst. Du wirst sehen, dass dir schon nach der ersten Seite die Hand weh tut.

Speziell wir Werbefuzzies sind zu Tastaturjunkies und Reichweitenfanatikern verkommen.

Dabei kann gerade ein ganz persönlich geschriebener Brief Wunder bewirken. Und erst viel später auch Massen bewegen.

Wir haben vor Jahren durch einen handgeschriebenen Brief einen Etat gewonnen. Ich will nicht verhehlen, dass auch die schöne Handschrift meines Partners da sicher einen gewissen Einfluss hatte. Kein Wunder, er ist ja auch Art Director.

Ich dagegen habe eher die Handschrift vom Typ „kann ich am nächsten Tag fast selbst nicht mehr lesen“ und häufig verzweifelte Texter vor mir stehen, die meine schriftlichen Anmerkungen an ihren Manuskripten nicht lesen können.

Hat sicher auch etwas mit meiner Ungeduld zu tun.

Aber kennt das nicht jeder von sich selbst, wenn man einen Brief erhält, auf dem die eigene Adresse handschriftlich geschrieben steht? Sie weckt Interesse wie Befürchtungen (weiss da jemand was von mir, das ich nicht wiess?).

Natürlich funktioniert das nicht, wenn die Adresse lieblos auf einen braunen Fensterumschlag gekritzelt wurde. Was bei Bewerbern häufig passiert.

Das Rezept hier ist: Handschrift und Briefumschlag müssen privat aussehen. Eine handschriftliche Adresse auf einen geschäftlich anmutenden Brief ist Nonsens.
















PS1: Habe mindestens 3 Versuche unternommen, damit es einigermaßen lesbar wurde.

PS2: Bitte keine weiteren Analysen meiner Handschrift. Schrift kippt nach links. Ganz schlechter Charakter.

Dienstag, 22. Juni 2010

Little Britain.

Letzten Montag war ich bei unseren Kollegen in London. England hatte sich gerade ein 1:1 gegen die USA errumpelt und Deutschland hatte ein glanzvolles 4:0 gegen Australien hingelegt.

Man hätte einen schlechteren Tag erwischen können, um sich mit den Kollegen zu treffen (hat sich ja ein paar Tage später schon relativiert).

Wer im Fussball nicht so zu Hause ist, dem sei erklärt, dass der englische Torwart einen leicht haltbaren Ball durch die Finger rutschen ließ. Eine leidensvolle Erfahrung, die bei den Engländern WM-Tradition hat. Sie haben immer wieder Torhüter, die sich bei wichtigen Turnieren dicke Patzer erlauben.

Wenn man ihn bis dato noch nicht richtig kennen gelernt hat, so erfährt man ihn spätestens in solchen tragischen Momenten in voller Bandbreite: den englischen Humor.

Ich habe ja schon mal versucht, dieses Humor-Phänomen, dass natürlich auch in der Kommunikation der Engländer immer wieder wahnsinnige Ganzleistungen zu Tage befördert, etwas zu ergründen.

Aber vielleicht habe ich mich damals geirrt. Vielleicht erträgt man sein Leben in einer sehr hierarchischen Gesellschaft, mit einer kurz vor der Mumifizierung stehenden Königin und noch dazu mit einer Fußballmannschaft, die sich bei Titelkämpfen immer selbst im Weg zu stehen scheint, nicht anders als mit diesem beissendem Humor.

Das Volk hat quasi schon im Voraus einen emotionalen Katalysator zur Hand, um vor der sich anbahnenden Katastrophe seelisch geschützt zu sein.

Auch die Presse ist in England mindestens um 3 Klassen bissiger und selbstzerstörerischer als in unseren Gefilden. Der Pannen-Torwart und sein Privatleben wurden nach seinem Fehlgriff so zynisch und massiv auseinander genommen, dass man nur noch Mitleid haben konnte.

Wie auch immer der englische Humor entstanden sein mag, die neue Kampagne unserer Kollegen aus London für Nationwide – mit Protagonisten der britischen Sketch-Show „Little Britain“ – ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie unterschiedlich Kulturen sind. Und wie sich das in der Werbung niederschlägt (was keine globale Kampagne leisten kann).

Die folgenden beiden Spots sind – wohlgemerkt – für eine Bank. Eine TV-Kampagne für ein Finanzdienstleister, von der wir hierzulande nur träumen können.

Bleibt zum Schluß die Frage, ob man als deutscher Kreativer mit den englischen Kollegen tauschen möchte.

Nach dem Spiel gegen Ghana lässt sich das sicher leichter beantworten.



TVC „Team England“ für Nationwide.



TVC „No Shareholders“ für Nationwide von Leagas Delaney London.

Samstag, 19. Juni 2010

Grosse Budgets kann jeder.

Rory Sutherland verkörpert eine der schillerndsten Figuren der englischen Kommunikationsszene und ist Fachmann für interaktive Medien. Der Vice Chairman der Ogilvy Group ist zudem ein unterhaltsamer Referent.

Mit diesen Voraussetzungen ist er selbstverständlich ein perfekter Protagonist für TED (Technology, Entertainment, Design).

In seinem Beitrag erklärt Rory Sutherland, dass es überhaupt keine Kunst ist, mit einem großen Budget eine Wirkung zu erzielen. Er beklagt die Automatismen in unserer Branche, dass großen Probleme automatisch große Budgets zur Verfügung gestellt werden.

Gerade in der Kommunikation scheint dieser Automatismus in verlässlicher Regelmäßigkeit aufzutreten. Besonders Ministerien und große Institutionen arbeiten nach diesem ungeschriebenen Gesetz.

Dabei sind es oft Kleinigkeiten, die eine große Wirkung erzielen können. So blöd es klingt: die Vuvuzela ist ein aktuelles Beispiel. Ich erinnere mich weiter an den Studenten, der auf die Idee kam, die einzelnen Pixel seiner Webseite zu verkaufen. Und damit ein Vermögen machte.

Wir Kreative sind ebenfalls anfällig für diese Gedankenroutine. Wenn ein Kunde hohe Ziele formuliert und ein schmales Budget zur Verfügung stellt, sind wir schnell mit dem Argument zur Hand: geht nicht.

Dabei gibt es immer wieder Ideen, die so genial einfach sind, dass man mit wenig Geld viel erreichen kann.

Rory Sutherland sucht für dieses Talent noch den richtigen Begriff (ich habe ihn mal Genialität getauft). Er hat folgendes Koordinatensystem für sich aufgestellt:




Natürlich ist es oft auch so, dass sich Kunden mit schmalen Budgets zu radikalen, aber einfachen Ideen nicht durchringen können, weil sie ein gewisses Maß an Mut erfordern.

Oder wir Kreative sollen in einer so verdammt kurzen Zeit eine geniale Idee entwicklen, dass es schlichtweg unmöglich ist, sie zu finden.

Das Video hilft, seine Sinne und seine Einstellung dafür zu schärfen, dass wir Kreative mit kleinsten Budgets Großes erreichen können, wenn wir die geniale Idee entwickeln.

Doch es gibt keine Patentlösung. Das ist auch gut so. Sonst könnte es ja jeder.



Rory Sutherland „Sweat the small stuff“ auf TED.com.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Die neue Stasi.

Die Segnungen der sozialen Medien haben auch ihre Nebenwirkungen. Und wir alle, die wir uns in diesen Medien bewegen, ahnen es im tiefsten unseres Innern, wollen es aber nicht wahr haben.

Aus Freunde können Feinde werden.

Es fing eigentlich alles wie ein Spiel an. Unser SM-Team wollte auf der Leagas Delaney Hamburg Fanpage einfach nur etwas Spaß verbreiten und hat unter seinen Freunden ein Gewinnspiel ins Leben gerufen.
Jeden Tag sollten unsere Freunde ein Spiel tippen und wer gewinnt, der bekommt ein 5-Liter-Bierfass zugeschickt. Bei mehreren gleichen Ergebnissen sollte das Los entscheiden.

Einer unserer „Freunde“ hat uns dann darauf hingewiesen, dass dieser Spaß gegen die Geschäftsbedingungen der betreffenden Organisation verstösst. Interessanterweise war der Freund gleichzeitig auch ein (freier?) Mitarbeiter der betreffenden Organisation.

In der Tat, liest man sich die Geschäftsbedingungen der betreffenden Organisation durch, hat er recht. Fragt sich nur, wer sich in einem schnellen und direkten Zeitalter wie dem unseren die kleingedruckten Geschäftsbedingungen durchliest, nur weil er ein eigentlich harmloses Spiel unter Freunden veranstalten will. Wir reden hier ja nicht von einer nationale Verkaufs-Promotion für einen deutschen Händler oder einer Kampagne für ein Consumer Product.

Da unser SM-Team auf Harmonie bedacht ist, hat es sogleich sein Gewinnspiel auf das reine Tippen zurückgefahren und die Gewinnausschüttung eingestellt (liebe Organisation, da ich davon ausgehe, dass ihr auch hier mitlest, sei Euch gesagt, dass wir den Bier-Gewinn natürlich nur an Leute ausgegeben hätten, die über 16 sind).

Eigentlich war die Sache für uns dann schon erledigt.

Umso erstaunter waren wir, als plötzlich ein langes Mail von irgendeiner anonymen "Vivian, User Operations der betreffenden Organisation" (kein Telefon, keine Adresse) auf Englisch bei uns eintrudelte, um noch mal ganz unmissverständlich festzustellen, dass wir folgendes machen würden: „violating our guidelines“.  Und dass dies innerhalb der nächsten 24h zur Folge haben könnte: „unpublish your page“.

Dabei hatten wir schon viele Stunden vorher längst den Rückzug angetreten.

In diesem Sinne rufe ich Euch hiermit dazu auf, unsere Fanpage bei der betreffenden Organisation nicht mehr zu besuchen, keinen Tipp mehr abzugeben und auch kein 5-Liter-Bierfass mehr jeden Tag zu gewinnen.

Wenn dieser Account in den nächsten Tagen nicht mehr existieren sollte, dann werden wohl auch meine armen Kinder nicht mehr studieren können, ich werde 10 Jahre auf mein nächstes Auto warten müssen und aus meiner Partei (momentan der ADC) ausgeschlossen werden.

Gauck sollte vielleicht doch nicht Bundspräsident werden, sondern noch ein paar Monate warten, bis eine neue digitale FB-Behörde nötig ist.

Donnerstag, 10. Juni 2010

Weltmeisterschaft der Werbung.

Viele Kreative denken in diesen Tagen nicht nur an Südfrankreich und Cannes, sondern an Südafrika.

Eine dieser giganitischen Fieberveranstaltungen, dessen Virus bei mir irgendwie noch nicht übergesprungen ist.

Zu weit weg? Zu kommerziell geworden? Zu schlappes deutsches Team?

Im Vorfeld eines solchen Events ist es immer interessant, die Werbeauftritte der Markenprotagonisten dieser Veranstaltung zu beobachten.

Allen voran Nike vs. Adidas. Und auch Puma spielt am Rande mit.

Nike hat mit einem wahrlich fetten Spot "Write the Future" viele Topstars aufgefahren und sich auch in der Exekution nicht lumpen lassen.



adidas scheint sich dagegen entschlossen zu haben, nicht mit einem weltweiten WM-Spot dagegen zu halten, sondern hat ein ebenfalls nicht unaufwendiges Werk namens "Cantina" für ihre Originals-Serie „Star Wars“ ins Feld geschickt.

Allerdings mit Topstars von gestern.



Das Werk hat durchaus seine Reize, aber im Vorfeld einer WM mutet es für mich deplaziert an.

Puma schliesslich hat sich auf seine Afrika-Kompetenz berufen (die Marke staffiert einige Teams aus) und einen ziemlich braven Spot aufgestellt. "Journey to Football" erinnert an alte adidas-Spots vor 6 Jahren zur EM (Road to Lisbon).



Fazit: Richtig Bock auf Fussball macht nur Nike.

Adidas hat eine durchaus mutige Werbestrategie entworfen. Werbung zur WM ohne WM.

Nur nicht konsequent. Natürlich konnte die Marke in der nationalen Kommunikation das Thema WM nicht ausser Acht gelassen und hat den alten „Teamgeist“ mit einer neuen Inszenierung beschworen. Und – weil es heute wohl schon zum guten Ton gehört – mit einem neuen Spiel.



Nike lässt uns die Zukunft schreiben.

Adidas lässt uns eine Trikotgeschichte schreiben.

Puma hat ein langweiliges Skript (schreiben lassen).

Wie auch immer.

Der wahre Wettkampf um die Kunden findet wohl auf YouTube und den Webseiten statt.

Die Klickraten sprechen für sich.

Dienstag, 8. Juni 2010

Kommunikation der Gauckler.

Joachim Gauck als Bundespräsident. Wir für Gauck. Das sind Namen von nur zwei Fangemeinden, die es in kurzer Zeit auf tausende „Gefällt mir's“ gebracht haben.

Das Volk darf den Bundespräsidenten nicht wählen, versucht es dank Facebook aber trotzdem.

Die ganze Casting-Show um die Kandidaten zeigt wieder mal, wie wichtig Glaubwürdigkeit und Authentizität in der Kommunikation sind. Und wie wenig davon in der politischen Kommunikation übrig geblieben ist.

Am Sonntag abend bin ich bei Anne Wills Laberstunde hängen geblieben. Zwar nur für kurze Zeit, denn länger erträgt man die Plattitüden nicht mehr. Aber diese Zeitspanne allein war für einen Kreativen in der Kommunikation recht erhellend.

Die SPD-Vertreterin (eine Frau Schwesig) rühmte sich, dass ihre politische Gruppe mit Gauck einen Vertreter präsentiert, der über allen Parteien steht, weil auch die politischen Gegner vor Jahren (schwarz-gelb) diesen Kandidaten schon für geeignet befunden haben.
Der Regierungskoalition wirft sie im gleichen Atemzug vor, mit Wulff einen rein politisch motivierten Kandidaten ausgewählt zu haben.

Die Gegenseite (Stoiber/CDU, Lindner/FDP) lobt Gauck, lobt aber noch mehr Wulff. Weil er mit seiner Nähe zur Politik und den großen anstehenden Aufgaben dem Amt mehr Relevanz und Problemnähe (oder so ähnlich) geben kann als Gauck.

Eine leere These jagt die andere. Bla bla bla.

Lafontaine findet sowieso alles Mist und kann nur noch als Unterhaltungsfaktor in der Runde betrachtet werden.

Schließlich kommt die Wahrheit zu Wort. In Form des stellvertretenden Chefredakteures vom stern, Ulrich Jörges.

Das größte Problem von Wulff sei Gauck.

Weil der als ein Mann des Volkes gilt, weil er integer ist, weil er authentisch ist und für Ost und West steht.

Gauck sei von der SPD/den Grünen aber nicht aus ihrem unbändigen Sinn fürs überparteiliche Gemeinwohl präsentiert worden, sondern genau aus dem einen taktischen Grund, nämlich Wulff – und damit die Regierungskoalition – politisch auszubremsen. Denn auch in Union und FDP gibt es bekanntermaßen viele Gauck-Gefällt mir-Leute.

Die Sahne auf dieser Theorie war dann aber die folgende Anekdote. Jörges wurde ein paar Stunden vor der Sendung von einem Steinmeier-Mitarbeiter angerufen (hat er sich später ergoogelt), ob er nicht mit Gauck vor der Sendung noch mal sprechen wollen, um die richtigen Argumente zu haben.

Lobbyarbeit in Reinkultur, die sich die SPD-Tante natürlich überhaupt nicht erklären konnte.

Das kommunikative Drama nimmt seinen Lauf und ist längt ein politisches geworden.

Es geht den Volksvertretern heute gar nicht mehr darum, das Richtige zu tun, sondern nur darum, den anderen zu blockieren. Eine Erkenntnis, die ich auch sammeln konnte, als ich mal eine Kampagne für eine Partei zur Landtagswahl entwickelt habe.

Die Erfahrung allerdings zeigt, dass in der Kommunikation nichts schlimmer ist, als dauerhaft den Gegner schlecht zu machen. Vor allem, wenn man selbst mit seiner Leistung nicht über allen Zweifel erhaben ist.

Im normalen Wirtschaftsalltag wäre das Unternehmen Deutschland mit dieser Kommunikationsstrategie längst pleite.

Im Politikalltag steht es kurz davor.

Und keinen wundert es.

Was für eine perverse Situation.

Montag, 7. Juni 2010

Überschätzter Apptrieb.

Sie sollen eines der Werbemittel der Zukunft sein: Spiele. Digitale Herausforderungen für jeglichen Spieltrieb auf Konsolen, Computern und Mobiltelefonen.

Da es schon viele Spiele gibt, stehen die Kreativen und Entwickler dieses Genres vor den gleichen Herausforderungen wie Werbekreative es tun: was lockt die potentielle Zielgruppe noch hinterm Ofen vor?

Natürlich muss man unterscheiden zwischen professionellen Spielen, die der Verbraucher käuflich erwirbt. Und den Spielen, die für Kommunikationszwecke entwickelt werden.

Konzentrieren wir uns auf letzteren Bereich. Gerade wurde mir wieder ein interessanter Link zu einem neuen App geschickt.

Es ist eine Arbeit für die Future Lions Competition 2010 in Cannes. Der Film zum App (siehe unten) ist wirklich sehr überzeugend gemacht und das Konzept scheint wieder mal genial einfach.

Männer finden Kondome abtörnend, lassen sich aber auch durch mögliche Schwangerschafts-Drohszenarien der Partnerin nicht wirklich beeindrucken.

Um die Folgen einer Nacht ohne Kondom zu dramatisieren, wurde von zwei dänischen Kreativen ein App geschaffen, dass die Nebenwirkungen eines Neugeborenen per iphone fühlbar macht: Baby in den Schlaf wiegen, Lied singen, nachts vom Geschrei geweckt werden, etc.

Ich glaube, dass dieses Konzept in der Theorie besser klingt als in der Praxis.

Welcher Kerl macht das ganze „Spiel“ auf seinem Telefon schon wirklich mit? Man guckt es sich vielleicht mal kurz an, findet es ganz lustig – und das war es dann auch.

Die einzige Wirkung, die der App erzielt, ist die, dass man über ihn redet. Ob die Applikation Männer allerdings dazu bringt, häufiger Kondome zu benutzen, wage ich extrem zu bezweifeln.

So können wir dieses schöne Konzept wohl unter der Rubrik „Idee überstrahlt Wirkung“ ablegen.


Durex Baby from Peter Ammentorp on Vimeo.

 Der „Durex Baby Case“ von www.vplusa.dk für den Future Lions 2010 Wettbewerb (www.futurelions.com) – organisiert von AKQA und dem Cannes Lions Advertising Festival.