Donnerstag, 30. Dezember 2010

GNJ.

Falls noch jemand nach Vorsätzen für das nächste Jahr sucht, hier ein paar Vorlagen von Jorge Luis Borges, argentinischer Schriftsteller (1899-1986):

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte.

Im nächsten Leben würde ich versuchen,
mehr Fehler zu machen.
Ich würde nicht so perfekt sein wollen.
Ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre ein bißchen verrückter, als ich es gewesen bin,
ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
Ich würde nicht so gesund leben.
Ich würde mehr riskieren, mehr reisen,
Sonnenuntergänge betrachten, mehr Bergsteigen,
mehr in Flüssen schwimmen.

Ich war einer dieser klugen Menschen,
die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten.
Freilich hatte ich auch Momente der Freude,
aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
würde ich versuchen, viel mehr gute Augenblicke zu haben.

Falls du es noch nicht weißt:
aus diesen besteht nämlich das Leben,
nur aus Augenblicken – vergiß nicht den jetzigen.

Wenn ich noch einmal leben könnte,
würde ich von Frühlingsbeginn an
bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
wenn ich das Leben noch vor mir hätte.
Aber sehen Sie, ich bin 85 Jahre alt und weiß,
dass ich bald sterben werde.


Gutes Neues Jahr.

Donnerstag, 23. Dezember 2010

FW.

Ich möchte mich bei allen Lesern bedanken, die meinen Beiträgen auch dieses Jahr wieder ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben.

Stay tuned.


Helander - Rare Exports Inc
Hochgeladen von Morpheus51100. - Sieh weitere Film & TV Videos.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Rien ne va plus.

Ich bin vergangene Woche der Einladung gefolgt, als Jury-Mitglied beim 10. Cristal Festival in Crans Montana (Schweiz) tätig zu sein.

Das Cristal Festival nennt sich ein europäisches Festival und ist der Nachfolger des Méribel Festivals (falls sich einer fragt, wo man diesen Wettbewerb einordnen soll).

Dass neben Arbeiten aus Europa auch Werke aus dem Mittleren Osten und Kanada (dem französisch-sprachigen Teil) zugelassen und bewertet wurden, deckte sich zwar nicht mit meinen geographischen Kenntnissen von Europa, entsprach aber wohl – nach intensiver Diskussion mit den Organisatoren – dem Regelwerk.

Warum ich mich auf dieses Jury-Abenteuer eingelassen habe, ist eine Frage, die mich noch heute beschäftigt. Vermutlich lag es am betörenden französischen Akzent im Englisch der Festival-Repräsentantin. Sie hatte mich Mitte des Jahres in der Agentur besucht, um mich zur Teilnahme zu bewegen.

Cristal ist ein Wettbewerb, bei dem nicht nur Kreative sondern auch Kunden bewerten.

Irgendwie muss ich wohl gedacht haben, dass es interessant sein könnte, diese gemischte Form der Juryarbeit auf internationaler Ebene mit einem Skiwochenende zum Jahresende zu verbinden.

Letzteres war ganz ordentlich.

Ersteres war sehr französisch geprägt.

Der überwiegende Anteil der Juroren kam aus Frankreich. Was sich in der Zahl der Einsendungen und letztendlich auch im Jury-Gesamtergebnis niederschlug.

Die Teilnehmerliste des Festivals enthielt zudem personelle Hochkaräter (z.B. Jacques Séguéla, Star und Altmeister der französischen Werbung und kein Geringerer als das „S“ von Euro RSCG, Mark Tutssell, CCO von Leo Burnett Worldwide und Festivalpräsident sowie Olivier Altmann, CCO von Publicis).

Was nach dem größten kreativen Menschenauflauf im französisch-sprachigen Terrain gleich nach Cannes klingt (und in der Presseberichterstattung in Frankreich sicher auch so aussieht) ist unterm Strich ein ziemlich verlassenes Skidorf in der Vorsaison mit rund 200 Juroren.

Eine überschaubare Gruppe von Menschen, die sich allabendlich zur Preisverleihung bestimmter Kategorien traf. Eine meistens französisch moderiertes Präsentationseinlage auf Abiturabschluss-Niveau, bei der sich mehrheitlich die französischen Kollegen gegenseitig ihre europäischen Cristals überreichen.

Bizarr.

Ich war Mitglied der Integrated and Branded Content Jury und wir mussten uns erst mal darüber unterhalten, was Branded Content eigentlich ist (ich erspar es euch, sollte es jemand interessieren, bitte Post senden).

Am Ende der fünf langen Tage bin ich mit einer mühevoll erworbenen Erkenntnis abgereist:

Ein Festival ist nur dann wirklich europäisch geschweige denn international, wenn die Jurys nicht von einer Nation dominiert werden, sondern ausgewogen besetzt sind (sprich: aus jedem Land ein Juror).

Dass der Festivalpräsident Mark Tutssel vorzeitig abgereist sein soll, würde mich nicht verwundern.

Für mich jedenfalls steht nächstes Jahr "cristal clear" fest: siehe Überschrift des Beitrages.





Viral einer Kampagne für das Europcar "Auto Libre" Angebot. Agentur: Ogilvy, Paris. Diese Kampagne hat in der Kategorie „Marketing“ einen „Cristal“ erhalten.

Die Idee ist nicht ganz neu: mit versteckter Kamera werden diverse Autobesitzer gefilmt, die zu ihrem Wagen zurück kommen und nur noch einen Schrottwürfel vorfinden. Die Story: eine Behörde entsorgt Autos, weil es bei Europcar jetzt ein Angebot gibt, mit dem man nur noch dann ein Auto besitzt, wenn man es braucht.

Was wie eine echt erzeugte Aktion aussieht, ist von Schauspielern nachgestellt (welche Marke würde es auch wagen, Menschen so einer Situation auszusetzen?). Die Gefahr, dass da Leute kollabieren, wäre zu groß.

Mir ist das ganze Theater bei aller Komik (auch mit der Direktschaltung zur Radiostation) viel zu konstruiert. Dennoch fast 2 Millionen Klicks auf YouTube.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Geschäftstüchtige Löwenzüchter.

Diese Woche weht ein Hauch von internationaler Kreativ-Elite durch Hamburg. Vorbereitet durch ein schon an den Tatbestand der Körperverletzung grenzendes Bombardement von Newslettern, kam auch ich nicht am Eurobest-Wettbewerb vorbei.

Aber warum gerade Hamburg? Wo es woanders doch ein noch kreativeres europäisches Metropolenflair gibt (London, Paris, Barcelona, Amsterdam)?

Ich muss gestehen, dass der Eurobest-Wettbewerb auf meiner Proritätenliste ziemlich weit unten rangiert. Kurz vor der Bedeutungslosigkeit. Wie auch die bisherige Ranking-Bewertungspunktzahl des Wettbewerbes zeigt.

Der Eurobest ist – oder vielmehr soll – die rein europäische Ausgabe des Cannes Festivals sein und wird von den gleichen Organisatoren (ein Unternehmen namens IAF - International Advertising Festival) auf die Beine gestellt. Partner des IAF in Deutschland ist die Weischer Mediengruppe.

Vermutlich war es genau dieser Grund, nämlich die mangelnde Bedeutung des Wettbewerbes, dass man sich bei den Veranstaltern gefragt hat, wie die kreative Schmusekatze wieder in eine attraktiven Zirkusnummer verwandelt werden kann.

Der unbedarfte Kreative denkt bei Wettbewerben nicht unbedingt an die geschäftliche Seite. Die Macher schon. So ein Cannes Festival dürfte ein richtig lukrativies Geschäft für die Organisatoren sein, bei dem ein paar Millionen übrig bleiben.

Will man also seine B-Range, in diesem Fall den Eurobest, wieder zu prächtigeren Gewinnen führen, so beginnt man einfach in dem Markt mit einem Event, in dem die meisten „Kunden“ sitzen.

Wir müssen nicht lange raten, um uns selbst mit unserer weltweit größten Kreativ-Award-Produktions-Industrie als zahlungskräftigstes Klientel von IAF/Weischer zu identifizieren.

Dazu kommt natürlich unsere kreative Eitelkeit gepaart mit dem Durst nach dem Duft der großen weiten kreativen Werbewelt, der Hamburg zu einem dankbaren Festivalpflaster kürt.

Die Ausbeute deutscher Agenturen war in dieser Woche denn auch gigantisch (um die 50 Eurobests).

Besonders die deutsche DDB hat allen anderen mal wieder gezeigt, dass sie gut im Kreativpreise machen – und damit auch im Kreativpreise gewinnen ist.

Warum die Werbewelt neben dem Cannes Festival auch noch ein Eurobest Festival braucht, kann nur vom Veranstalter ganz eindeutig beantwortet werden:

da verdient er an den gleichen eingesandten Arbeiten noch mal.

Freitag, 3. Dezember 2010

Soziale Adern.

Vor zwei Tagen war Welt-Aids-Tag. Was natürlich das soziale Gewissen vieler Agenturen auf den Plan ruft.

Aids ist bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten und da ist es absolut ehrenwert, wenn sich Kreative mit Ideen engagieren. Der Termin passt zudem ganz gut, geht das Jahr doch dem Ende zu und besteht so noch die Möglichkeit, sein potentielles Medaillenkonto aufzubessern, sollte es noch auf Null stehen.

Folglich gab es einiges zu sehen für den aufmerksamen Beobachter.

Da begegnete mir die ziemlich aufwändige Neuerfindung einer TLD (Top Level Domain) der Kollegen von kempertrautmann (also statt .com jetzt .hiv).

Dann traf ich auf die recht charmante Ein-Tages-Twitter-Spenden-Aktion einer Hamburger Agentur namens Beebop (leider mit dem – für meinen Geschmack – etwas zu offensichtlichen Selbstpromotion-Anteil direkt auf der Spendenseite).

Schließlich wurde ich noch durch eine Aktion aus Tel Aviv "angestochen" – und emotional am stärksten gepackt:

Den Moderatoren eines Radiosenders wurde den ganzen Tag live während der Sendung das Blut abgenommen. Und sie haben sich später – natürlich auch live – ihr vorläufiges Ergebnis präsentieren lassen.

Ich stelle mir vor, man hängt vor dem Radiosender und erlebt mit, wie die Moderatoren doch vielleicht leicht nervös auf ihr Ergebnis warten. Eine Spannung, die man als Privatperson ja auch durchlebt, wenn man sich testen lässt.

Die Radiomoderatoren waren alle negativ. Die Aktion absolut das Gegenteil.




















Radiomoderator beim Blutabnehmen live. Aktion zum Welt-Aids-Tag von Y+R Tel Aviv.